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OTS0185   20. Sept. 2013, 14:32

Stelzhammer und Lorenz im Interview zum Thema: Leistbares Wohnen - Wunschdenken oder Wirklichkeit


  • Mag. Markus Sommersacher, Coach, Trainer, Moderator
  • Architekt Walter Stelzhammer, Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien, Niederösterreich und Burgenland
  • Architekt Peter Lorenz, peterlorenzateliers_innsbruck_wien

MS: Herr Lorenz, ist das Schlagwort, das jetzt im Wahlkampf die Runde macht, nämlich vom leistbaren Wohnen Ihrer Ansicht nach berechtigt oder nur ein hohles Versprechen?

LO: Die Kosten im Wohnbau sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Diese Mehrkosten sind aber leider nicht etwa auf eine höhere Qualität oder größere Wohnungen zurückzuführen - sondern auf eine Vielzahl von Ursachen, die uns immer mehr entgleiten. WS: So wurden z.B.,in den Bereichen Nutzungssicherheit und Barrierefreiheit, Brandschutz, Schallschutz, Energieeinsparung sowie Wärmeschutz die Mindestanforderungen für den Wohnungsbau deutlich erhöht. Das Gute im Moment: Seit Monaten beschäftigen sich alle an dem Thema "leistbares Wohnen" beteiligten Experten und Vereinigungen überraschend harmonisch mit einem Zurückfahren der überbordenden Regelwerke.

MS: Sie vertreten die These, dass die Kostenindikatoren alle nach oben zeigen, unter anderem deswegen, weil z.B. die Bauvorschriften und Normen in den letzten Jahren explodiert sind, ist das fundiert?

LO: Ja, das ist fundiert und das entspricht einer gesamten europäischen Entwicklung, die leider alle unsere Lebensbereiche trifft. Überbürokratisierung und exzessive Normierungen sind aber kein Fortschritt sondern ein Grabgesang.

WS: Zu hinterfragende baurechtliche Anforderungen tragen neben den steigenden Grundkosten wesentlich zu erhöhten Errichtungskosten bei. Vor allem wir als Planer leiden unter den verschiedenen vernetzten Regelwerken, die neben dem zusätzlichen unbezahlten Planungsaufwand Bauwerke komplizierter und daher teurer machen.

MS: Eine Überbürokratisierung, die ihren Grund wo hat, in der EU?

LO: Es ist vielleicht die europäische Pest des 21. Jahrhunderts - in Österreich wollen wir zu den Vorzugsschülern gehören und eher vorauseilen beim exzessiven Produzieren von Normen und Bauvorschriften. Ein Beispiel: eines der bedeutendsten modernen Gebäude ist die Oper in Oslo: in Österreich unbaubar - weil die Rampen zu steil sind.

MS: Frage, auch deswegen, weil dahinter eine Unsicherheit steht, jeder will sich absichern, indem er meint, dass man mehr Vorschriften herausgibt, ist man eher "on the safe side", ist das so?

LO: Für mich ist das eine tragische Dekadenz unserer Kultur, dass wir immer weniger Verantwortung übernehmen, übertriebene Sicherheiten wollen, über alles und jedes ein schriftliches Gutachten brauchen - ein endloser, unproduktiver Papierkram.

MS: Nennen Sie da ein paar Beispiele, oder ein Beispiel.

LO: Ein Beispiel, das jeder versteht: In Österreich gibt es ständig neue Normen für Stiegengeländer und Handläufe, mittlerweile ist nur mehr eine einzige Art möglich, die auf den mm genau definiert ist - wozu eigentlich? Alle anderen Geländer, die es überall gibt und die auch ihren Zweck erfüllen, sind nicht mehr ausführbar. Wir leben in einem hysterischen Sicherheits-, Standardisierungs- und Normungswahn, der natürlich unsinnige Kosten produziert. Ein anderes heikles Thema ist der anpassbare Wohnbau. Jede Wohnung muss nun anpassbar sein für den Fall, dass der Wohnungsbenutzer eines Tages im Rollstuhl sitzt - diese tragische Wahrscheinlichkeit trifft uns mit einem Hunderstelprozentsatz - d.h. JEDER bezahlt dafür ca. 3% an zusätzlichen Baukosten. Macht das überhaupt einen Sinn? Die Folge: Ein Rollstuhlfahrer im 6. Stock kommt wenn es brennt gar nicht mehr runter, weil ja der Lift z.B. im Brandfall ausfällt. Und das ist unser Fortschritt???

MS: D.h. Überbürokratisierung, aber an der falschen Stelle?

LO: also Überbürokratisierung ist natürlich immer falsch. Die Politik ist damit vollkommen überfordert, diese Normierungswut einzubremsen.

MS: Auch die wollen sich absichern.

LO: jeder will sich endlos absichern. Da gibt es auch die absurde Entwicklung im Brandschutz. Obwohl es ja kaum mehr Wohnungsbrände gibt, und die, die es gibt, sind praktisch nicht zu vermeiden, werden die Brandschutznormen ständig verschärft. Das macht keinen Sinn mehr. Drastisch formuliert: 99 % der europäischen Gebäude entsprechen nicht unseren derzeitigen Normen. Zum Verständnis ein Vergleich: Stellen sie sich vor, wir hätten auf den Autobahnen ein Geschwindigkeitslimit von 30 km/h eingeführt um die Verkehrsunfälle zu reduzieren.

MS: Sie sprechen bezüglich der Baudichten wortwörtlich von einer "Angst vor Dichte".

LO: Gut - das ist natürlich nicht überall in Österreich gleich. Aber grundsätzlich haben Städte und Dörfer in Österreich die Notwendigkeit, innerhalb ihrer Grenzen zu verdichten- eine hohe Qualität immer vorausgesetzt.

MS: Ohne dass man wieder eben in die Breite nach außen geht?

LO: Ohne dass man vorerst in die Breite geht. Die Erweiterung der Orte ist erst als letztes Mittel legitim.

MS: Das bestehende, was vorhanden ist, noch besser nützt.

LO: Genau das. Der größte Vorteil dabei ist, dass alle Infrastrukturen bereits vorhanden sind, in der Innenstadt haben wir die Straße, den Kanal, das Wasser, den Autobus, - während bei den Stadterweiterungen alles dazu kommt an zusätzlichen Kosten. Die Flächenwidmungs- und Bebauungsplanung in Österreich ist sehr starr, sehr träge, wir reden da von Jahren statt von Monaten - viele Bebauungspläne in Österreich sind mehrere Jahrzehnte alt. wir müssten da etwas verbessern, was schneller und flexibel auf die Anforderungen reagieren kann. Langsamkeit kostet Geld - sehr viel Geld.

WS: Da gibt es einen positiven Ansatz in Wien: die Einführung einer eigenen Widmungskategorie "förderbarer Wohnbau" ist angedacht - verankert in der Wiener Bauordnung. Als weitere Maßnahme soll in Zukunft eine befristete Baulandwidmung verhindern, dass Grundflächen mit Widmung "Bauland" von ihren Eigentümern in nicht absehbarer Zeit bebaut, also gehortet werden. Wenn die Baubewilligung innerhalb Frist nicht erwirkt, bzw. nicht konsumiert wird, erlischt, bzw. verfällt auch die Widmung. Mit dieser Maßnahme soll im Zusammenhang mit dem dringenden Wohnbaubedarf eine bodenmobilisierende Wirkung erzielt werden.

MS: Zurück zur Verdichtung: es ist vielleicht eine heikle Partie, wenn viele Leute sagen, nein ich will nicht wie in der Mehlwurmkiste dem anderen so auf der Pelle sitzen.

LO: Die Konflikte gibt's: ein Elternpaar kommt zum Bürgermeister sagt, "...können Sie verhindern, dass dort ein neuer Wohnbau entsteht...". Und am Nachmittag kommen deren Kinder und sagen "... bitte schauen Sie, dass wir in dem neuen Wohnbau eine Wohnung bekommen..". Jeder, der eine Wohnung hat möchte, dass der Nachbar seinen Obstgarten beibehält. Diese Konflikte muss man mediativ ausräumen - ändert aber nichts an der Notwendigkeit, dass wir verdichten müssen mit höchster Qualität. Das ist eine wichtige Voraussetzung für den leistbaren Wohnbau. Verdichtung führt jedenfalls zu einer Preisreduzierung. Schon allein weil das Angebot steigt.

MS: Eines der großen Themen in letzter Zeit sind Energiekosten. Rein subjektiv hat jeder das Gefühl, dass die Energiekosten nicht nur für den Verkehr, sondern auch beim Wohnen explodieren sind. Ist das reversibel?

LO: Eigentlich stimmt das nicht. Die Heizungskosten z.B. pro m2 sind in den letzten 30 Jahren ungefähr 10 % von dem was wir z.B. vor 30 Jahren dafür aufgewendet haben. Wir reden wirklich nur noch von grob gesprochen einem Zehntel an Energiebedarf. Und wir erleben, dass Mieter umziehen in neue Gebäude, weil die Energiekosten deutlich geringer sind. im gegenteil: die Sinnhaftigkeit von teuren Passivhäusern wird sehr kontroversiell diskutiert.

MS: Einer der größten Würmer im Bereich leistbares Wohnen ist die Überbürokratisierung, die Verwaltung, die überflüssigen Vorschriften, führt das auch zu längeren Zeitabläufen?

LO: Anders als früher versuchen viele Anrainer alles zu verhindern. Wir benötigen heute für Bauverfahren meistens länger als für das Bauen selbst. Projekte mit Verfahren, die über 5, 8 und 10 Jahre sind keine Seltenheit. Und das ist natürlich viel zu lange und zu teuer. "Zeit kostet Geld" - letztlich bezahlt das der Mieter und der Käufer.

MS: Abgesehen von einer Ent-Bürokratisierung, wie kann man tatsächlich eine Senkung der Wohnkosten erreichen?

LO: Die Qualität und die Größe der Wohnung sollte das letzte sein beim Einsparen. Sonst fallen wir zurück in die Nachkriegszeiten. Das betrifft auch den Städtebau und die Architektur. Vor 20 Jahren hatten die 3-Zimmer-Wohnungen ca. 90 m2, heute betragen sie rund 70 m2. Ich hielte es für besser, die zuvor erwähnten Kostenfaktoren zu durchleuchten und rasch mit den Experten durchzuschauen - ein Potential zwischen 10 bis 20 % ist realistisch.

MS: Das wollte ich jetzt gerade fragen, gibt es also berechtigte Hoffnung, die Kosten in absehbarer Zeit um diesen Betrag zu senken? 10 bis 20 % erscheinen ziemlich viel.

LO: Das wäre machbar. Allein durch eine Einsparung von überzogenen Bauvorschriften der letzten 5 Jahre, allein das würde bis zu 8-10 % ausmachen.

WS: Die Umsetzung der aktuellen Änderungsvorschläge unserer Regelwerke definieren Einsparungspotentiale, die zu einer Reduktion der Errichtungskosten von Wohngebäuden bis zu EUR 150/m2 Nfl führen würden. (= ca. 10%)

MS: Welche weiteren konkreten Vorschläge haben sie damit der Wohnbau leistbarer werden kann?

WS: Die Wiener Stadtpolitiker Michael Ludwig und Christoph Chorherr haben nun einige wichtige Neuerungen zur Unterstützung von kostengünstigem Bauen und Wohnen mit richtungsweisenden Verbesserungen für eine Wiener Bauordnungsnovelle 2014 vorgelegt. Die Kfz-Stellplatzverpflichtung soll derzeit von 1:1 nur mehr 1/100 m2 Nutzfläche sein. Die Folge ist eine Reduktion der auf die einzelnen Wohnungen entfallenden Baukosten. Je kleiner die Wohnnutzfläche, wie z.B. bei SMART-Wohnungen, desto geringer wird die Stellplatzverpflichtung sein. Die in Wien noch vorgeschriebene Errichtung von Notkaminen soll als weiterer Kostentreiber entfallen. Allerdings fehlt bis dato eine Gesamtbetrachtung der einzelnen Regelwerke, die ein sinnvolles Abwägen der angemessenen Nutzungserfordernisse mit der Leistbarkeit hinsichtlich des wirtschaftlichen Mehraufwandes bei der baulichen Umsetzung ermöglicht.

LO: Das ist vorbildlich - aber es müssen noch etliche weitere dazu kommen über den Brandschutz, den anpassbaren Wohnbau, die Bauverfahren, usw. was immer wir einsparen könnenn wir in billigere oder bessere und größere Wohnungen stecken. 10 - 20% ist da schon ein großes Potenzial.

OTS-Originaltext Presseaussendung unter ausschließlicher inhaltlicher Verantwortung des Aussenders.
OTS0185 2013-09-20 14:32 201432 Sep 13 NEF0008 1540



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Rückfragehinweis: Mag. Markus Sommersacher,
Architekt Peter Lorenz oder Architekt Walter Stelzhammer
kammer@arching.at
office@peterlorenz.at

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