OTS0063 / 15.08.2011 / 18:22 / Channel: Wirtschaft / Aussender: Der Standard
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DER STANDARD-Kommentar: "Abwarten und Tee trinken" von András Szigetvari

Utl.: "Die Eurozone tut eher zu viel als zu wenig: Die Staatenretter sollten pausieren"; Ausgabe vom 16.08.2011 =


   Wien (OTS) - Im US-amerikanischen Thriller Inside Man begeht der
Gauner Dalton Russell den perfekten Bankraub. Seine Strategie: Er
raubt die Bank nicht aus oder zumindest nicht dann, wenn es alle
glauben. Er mauert sich in der Filiale ein und wartet, bis die
Polizei weg ist. Er informiert die Cops sogar über seinen Plan. Doch
die New Yorker Polizei ist so sehr damit beschäftigt, ständig neue
Krisenstrategien zu entwickeln, dass sie in ihrer Panik die Lage
verschlimmert und nicht mitbekommt, was in der Bank abläuft. 
In der europäischen Schuldenkrise geht es derzeit ähnlich zu. In der
Realität droht zwar niemand einen Bankraub an, doch eine hektische
Rettungsaktion jagt auch hier die nächste, während sich die Krise
zuspitzt. 
Griechenland, Irland und Portugal wurden mit Notkrediten aufgefangen.
Ein Eurorettungsschirm (sogar zwei, einer bis 2013, einer für danach)
wurde eingerichtet und bereits aufgestockt. Ein Plan zur Beteiligung
der Banken an der Krise wurde erarbeitet. Geholfen hat das alles
nichts. Die Risikoaufschläge für Italien und Spanien erreichten im
August ein Rekordhoch, erstmals geriet Frankreich unter Druck. Medial
entsteht oft der Eindruck, Europa würde lahm auf die Probleme
reagieren. Wenn, dann trifft schon eher das Gegenteil zu: Die Politik
hat zu oft reagiert und damit immer mehr Staaten einem Risiko
ausgesetzt. 
Beispiel Griechenland: Die Pleite der Minivolkswirtschaft war vor
eineinhalb Jahren politisch nicht erwünscht. Ökonomisch wäre sie
verdaubar gewesen. Zig Rettungsaktionen später schuldet Hellas (Staat
plus Banken) der EU 311 Milliarden Euro. Weil bisher jeder
aufgefangen wurde, lässt sich nun an den Finanzmärkten trefflich
spekulieren, wann der Euroschirm neuerlich ausgeweitet wird und die
Rettung für Italien kommt. 
Noch schlimmer ist, dass keiner mehr die eigenen Bemühungen ernst
nimmt: Ende Juli haben sich die Regierungschefs der Eurozone auf ein
zweites Hilfspaket für Griechenland verständigt. Schon wenige Tage
später meldete die EU-Kommission Änderungswünsche an. Nun brandet
schon die nächste Debatte auf: In Deutschland bröckelt der Widerstand
gegen Eurobonds. Finanzminister Wolfgang Schäuble widersprach zwar
einem Bericht der Welt am Sonntag, wonach Berlin die Einführung von
Euroanleihen erwägt, doch als erster mächtiger Wirtschaftsklub hat
der deutsche Außenhandelsverband Euroanleihen gefordert, auch die SPD
ist dafür. 
Eurobonds sind grundsätzlich eine gute Idee. Würden alle Euroländer
gemeinsame Kredite begeben - nichts anderes wären Euroanleihen -,
könnte das die Zinskosten für Rom und Madrid senken. Für Österreich
und Deutschland kämen die Anleihen teurer, sie müssten zusätzliche
Risiken tragen. Doch Wien und Berlin stehen bereits mit Milliarden
für Griechenland und Co gerade. Bevor eines dieser Länder pleitegeht
und das geborgte Geld futsch ist, wären Euroanleihen eine
Alternative. 
Doch die Debatte kommt zu früh. Noch sind die Beschlüsse des letzten
Eurogipfels nicht umgesetzt. Niemand weiß, wozu sie taugen. Was
Europa bräuchte, wäre eine rettungsfreie Periode - auch um zu sehen,
was die bisherigen Aktionen gebracht haben. Wenn sich die deutsche
Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy
heute in Paris treffen und keine Beschlüsse präsentieren, wäre das
gar nicht das schlechteste Ergebnis. Manchmal ist abwarten und Tee
trinken die beste Strategie. 
Rückfragehinweis:
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