OTS0180 / 11.08.2011 / 17:24 / Channel: Politik / Aussender: Wiener Zeitung
Stichworte: Medien / Politik / Pressestimmen / Vorausmeldung


Wiener Zeitung: Leitartikel von Walter Hämmerle: "Geschwindigkeit kann lügen"

Utl.: Ausgabe vom 12.8.2011 =


   Wien (OTS) - Mitunter versteckt sich im steten Bemühen um
größtmögliches Tempo bei der Berichterstattung eine falsche Erzählung
von der Wirklichkeit. Oder drastischer ausgerückt: Geschwindigkeit
kann, wenn schon nicht lügen, so doch trügen.
Das hat sich bereits bei der Atomkatastrophe in Fukushima gezeigt,
als über Tage, ja sogar Wochen hinweg das Ausmaß des Unglücks im
Vagen blieb. Und das zeigt sich jetzt bei der Berichterstattung über
die Schuldenkrise und die Börsenkurse.
Geschwindigkeit ist im News-Business zu einem Wert an sich geworden:
Getrieben vom unerreichbaren Ideal der Gleichzeitigkeit rapportieren
wir Medien atemlos den jeweils letzten Wasserstand - und hinken
dennoch unweigerlich hinterher.
Besonders fatal wird die sekundenschnelle Nachrichtenübermittlung
dann, wenn sie zum Co-Akteur der Ereignisse mutiert: Nichts anderes
ist bei den Börsegeschäften rund um den Globus der Fall. Die
(vorgeblichen) Echtzeit-Medien sind längst zur
Bedingungsnotwendigkeit der Märkte geworden: Die Instant-News von der
Wall Street aus New York sind untrennbar mit den Kursausschlägen in
Frankfurt, London und Tokio geworden - und selbstverständlich vice
versa.
Medien und ihr unstillbarer Hunger nach Extremen und Aktualität sind
- teils instrumentalisiert, teil bewusst - zu einem Teil des
aktuellen Problems geworden. Eine atomistische Berichterstattung, die
binnen Stunden, mitunter sogar binnen Minuten wieder von ihrem
Gegenteil überholt sein kann, trägt nichts zur Aufklärung, zur
Information, aber alles zur Verwirrung der Bürger bei. Daran ändern
auch die zahllos zu Wort kommenden Experten nichts, die sich
wortreich bemühen, dem Chaos Rationalität abzuringen.
In Situationen, in denen es gilt, kühlen Kopf zu bewahren, ist das
nicht nur bedauerlich, sondern sogar gefährlich: In Panik hat noch
selten jemand den Notausgang gefunden. Dazu bedarf es unter
Stressbedingungen der Kaltblütigkeit, sich die notwendige Zeit zu
nehmen, die Situation zu analysieren, Strategien für einen Ausweg zu
entwerfen und die bestmögliche sodann Schritt für Schritt in die Tat
umzusetzen.
Es bleibt zu hoffen, dass die Politik diese ihre Kernaufgabe noch
nicht aus den Augen verloren hat. Denn derzeit schaut es leider so
aus, als ob sie sich von der Atemlosigkeit der Märkte und Nachrichten
anstecken hat lassen.
Rückfragehinweis:
   Wiener Zeitung
   Sekretariat
   Tel.: +43 1 206 99-474
   redaktion@wienerzeitung.at
   www.wienerzeitung.at
	
							
												
							
*** OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER
INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT ***
OTS0180    2011-08-11/17:24
111724 Aug 11
PWR0001 0357