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OTS0277   9. Juni 2011, 18:15

WirtschaftsBlatt-Leitartikel: Wie gefährlich ist Erdogan? - von Wolfgang Unterhuber

Die Türkei boomt. Doch es gibt genug aktuelle Probleme


Am Sonntag wird der türkische Premier Recep Tyyip
Erdogan voraussichtlich einen großen Wahlerfolg feiern. Die Frage
wird nur sein, ob er mit seiner islamisch-konservativen Partei AKP im
Parlament die Zwei-Drittel-Mehrheit erreichen wird oder nicht. Wenn
ja, kann er die Verfassung des Landes nach eigenem Gutdünken ändern.
Die neue Verfassung war das Hauptthema im Wahlkampf. Erdogan werden
bonapartistische Neigungen nachgesagt.

Wie gefährlich könnte ein türkischer Napoleon für den Westen werden?
Erdogan sorgt immer wieder für internationales Aufsehen. Im Februar
2008 bezeichnete er die Assimilation türkischer Einwanderer in
Deutschland als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Auf dem
Weltwirtschaftsforum 2009 in Davos beschuldigte er die israelische
Regierung, im Gaza-Streifen bewusst unschuldige Zivilisten und Kinder
getötet zu haben. Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad ist
für ihn "ohne Zweifel unser Freund", und dem Westen wirft er im
Atomstreit mit Teheran Doppelmoral vor. Nahezu herzig nimmt sich
dagegen die Haltung Ankaras zu Ursula Plassnik aus.

Ist Erdogan also eine "unguided missile"? Nein. Er ist ein
Machtmensch - solche kennen wir auch aus Paris, Rom oder Moskau. Aber
er verfolgt mit Sicherheit keine islamische oder nationalistische
Revolution. Erdogan ist ein Pragmatiker. Sein wirtschaftspolitisches
Management in Folge der schweren Krise 2001 wird auch von
internationalen Experten gelobt. Die Türkei boomt und ist ein Land,
in dem die freie Marktwirtschaft funktioniert. Das lockt
internationale Investoren an, die die Türkei dringend braucht, wenn
es seine ökonomische Erfolgsstory prolongieren will.

Bei Energieversorgung, Umwelttechnik oder Infrastruktur steckt man
noch in den Kinderschuhen. Dazu kommen aktuelle Probleme. Das Defizit
in der Leistungsbilanz nimmt gefährliche Ausmaße an. Und im Mai ist
die Inflation überraschend hoch nach oben geschnellt. Erdogan mag die
Verfassung ändern. An der Macht bleibt er nur, wenn er die Wirtschaft
am Laufen hält. Und damit hat er genug zu tun.

OTS-Originaltext Presseaussendung unter ausschließlicher inhaltlicher Verantwortung des Aussenders.
OTS0277 2011-06-09 18:15 091815 Jun 11 PWB0001 0321



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