Medizinische Versorgung

Ärzte drängeln sich in der City West

Spurensuche. Allein die Statistik sagt nichts über den Ärztebedarf aus, heißt es bei der Kassenärztliche Vereinigung. Denn diese berücksichtige nicht das Alter der Patienten in den... - Foto: Thilo Rückeis

Charlottenburg-Wilmersdorf gilt als überversorgt. Im Ostteil der Stadt haben Patienten oft längere Wege. Auch Neukölln wird bei Ärzten immer unbeliebter.

Ärztemangel in Deutschland? Gibt es nicht wirklich, sagen die Krankenkassen. Zwar seien einige ländliche Regionen, insbesondere im Osten, tatsächlich unterversorgt. In Großstädten und Ballungszentren dagegen wimmle es geradezu von Medizinern. Und die Herausforderung, der sich die Bundesregierung in den nächsten Wochen mit einem „Versorgungsgesetz“ stellen will, sei es nun, diese mitsamt ihrer Praxen in Gegenden zu bringen, wo man sie dringender benötigt.

Ist Berlin überversorgt? Die Zahlen legen das nahe. Bei sämtlichen Arztgruppen, mit Ausnahme der Anästhesisten, liegt der Versorgungsgrad, (also das bundesweit vorgegebene Arzt- Einwohner-Verhältnis) aktuell bei mehr als 110 Prozent – was der Definition von Überversorgung entspricht.

Am höchsten ist er bei Psychotherapeuten (168 Prozent), Chirurgen (167 Prozent) und Internisten (158 Prozent). Die Röntgenärzte decken den Bedarf zu 155, die Nervenärzte zu 142, die Kinderärzte zu 141 Prozent. Und selbst bei den Hausärzten schafft die Hauptstadt einen Versorgungsgrad von knapp 113 Prozent.

Wenn man die Realitäten einbeziehe, komme man jedoch auf ganz andere Zahlen, beteuert die Kassenärztliche Vereinigung (KV). So lasse sich etwa jeder fünfte Patient aus Brandenburg in Berlin behandeln, rechnet KV-Vize Uwe Kraffel vor. Dafür benötige man in der Stadt zusätzliche Arztkapazitäten. Außerdem sei der Anteil der über 60-Jährigen von 19 auf 24 Prozent gestiegen. Was auch bedeutet: Der Bedarf, insbesondere an bestimmten Medizinern, ist höher, als es die Bevölkerungszahl ausdrückt. Wer über 60 ist, braucht fast siebenmal so häufig einen Augenarzt wie der Durchschnittsbürger. Bei Urologen ist es ähnlich. Bei der Bedarfsplanung, so Kraffel, werde die Altersstrukturen aber kaum berücksichtigt.

Täte sie das, wie es der Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) vorsieht, dann beträfe die Überversorgung stadtweit nicht mehr 13 von 14, sondern nur vier ärztliche Fachgruppen. Es gäbe dann lediglich zu viele Psychotherapeuten, Chirurgen, Kinder- und Röntgenärzte. Und vier Bezirke wären bezüglich fast aller Arztgruppen unterversorgt: Neukölln, Treptow-Köpenick, Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg-Hohenschönhausen. Hier fehlen vor allem Augen-, Hautärzte und Urologen. Am deutlichsten mache sich die geänderte Altersstruktur in den Trabantenstädten bemerkbar, sagt Kraffel. Im Märkischen Viertel, in Marzahn-Hellersdorf und Gropiusstadt habe sich der Anteil der über 60-Jährigen seit 1992 von neun auf 22 Prozent erhöht. Das heißt, der Medizinerbedarf ist dort immens gestiegen. Der Versorgungsgrad mit Augenärzten etwa – auf dem Papier bei 122,5 Prozent – betrage faktisch dann nur noch 81,6 Prozent.

Grandios überversorgt mit Ärzten aller Fachbereiche ist laut Statistik vor allem der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Der Versorgungsgrad bei Psychotherapeuten beträgt dort gewaltige 441 Prozent. Nervenärzte bedienen den Bedarf zu 245, HNO-Ärzte zu 200 Prozent. Und am Ende der Skala rangieren die Allgemeinmediziner mit immer noch 149 Prozent. Zum Vergleich: In Lichtenberg-Hohenschönhausen ist der Bedarf an Hausärzten nur zu 90 Prozent gedeckt. Und in Marzahn-Hellersdorf beträgt der Versorgungsgrad bei Psychotherapeuten gerade mal 35 Prozent.

Doch auch diese Zahlen seien mit Vorsicht zu genießen, mahnen die KV-Experten. Die Patienten der Charlottenburger Ärzte nämlich kämen aus ganz Berlin, sagt Kraffel, „bis aus dem hintersten Winkel von Köpenick“. Weil es bei der Bedarfsplanung all diese Faktoren mitzubedenken gebe, müsse diese endlich flexibler werden, findet Kraffel. Mit kleinräumigerer Planung, wie jetzt von vielen Politikern gefordert, sei allerdings in den Städten überhaupt nichts gewonnen.

Seit Sommer 2003 ist Berlin ein einheitlicher Planungsbereich – und das soll er aus KV-Sicht auch bleiben. Je kleinräumiger die Planung, desto weniger könne man die Berliner Besonderheiten bei den Patientenströmen berücksichtigen, warnt der Vize-Vorsitzende. „Und wenn man für jeden der 12 275 Häuserblöcke plant, kann man überhaupt keine Gemeinschaftspraxen mehr zulassen, weil man mit jedem zweiten Arzt darin dann gleich eine Überversorgung hat.“

Gleichwohl drängt Kraffel darauf, künftig auch innerhalb der Stadt nicht mehr „jedem Umzugsbegehren eines Arztes“ nachzugeben. Die Genehmigung für die Verlegung der Praxis müsse sich stärker am jeweiligen Bedarf orientieren. Auch Neuniederlassungen müsse man davon „sehr viel stärker abhängig machen“. Neukölln zum Beispiel, wo es bekanntlich weniger Privatpatienten und damit auch geringere Verdienstmöglichkeiten gibt als etwa in Charlottenburg, verlor allein zwischen 2006 und 2011 insgesamt 57 Mediziner – darunter 16 Hausärzte, 15 Psychotherapeuten und sieben Gynäkologen.

13 Kommentare

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    War es nicht die KV-Vorsitzende

    War es nicht die KV-Vorsitzende, Prehn, die vor einiger Zeit sagte "die Patienten müssen sich daran gewöhnen, dass sie halt nicht mehr mit Hausschuhen zum Arzt gehen können". Auch in Neukölln haben die Ärzte die Flucht ergriffen, weil es dort eben so wenige Privatpatienten gibt und sich IGEL-Leistungen schlecht verkaufen.

    Eine Funktionärin die solch eine Aussage trifft, sagt damit gleichzeitig, dass die eigene Institution (KV-Berlin) eigentlich überflüssig ist.

    Wenn man nicht in der Lage ist die ärztliche Versorgung im gesamten Stadtgebiet sicherzustellen, wenn daneben das Vergütungssystem Technikmedizin bevorzugt und dafür das persönliche Arzt-Patient Gespräch nicht ausreichend honoriert, wenn in allen Praxen zum Quartalsende Fortbildungskurse besuchen oder aus sonstigen Gründen die Praxis schließen sollte man die KV auflösen.

    Im Zeitalter der Datenverarbeitung braucht man für die eigentliche Abrechnung keine Institution, das kann man gut zwischen Ärzten und Krankenkassen selbst bewerkstelligen. Nebeinbei gibt es dadurch gleichzeitig auch mehr Transparenz für die Beitragszahler.
      Antwort auf serafin vom 10.05.2011 11:22 Uhr

      Nicht nur Geld spielt eine Rolle

      In Berlin scheint es nicht nur eine Geldfrage zu sein, also wo die meisten einträglichen Privatpatienten zu finden sind. Auch für Ärzte sind manche Gegenden in Berlin leider ein warlich hartes Pflaster.

      Beispiel:
      Asl wir vor 5 Jahren nach Berlin kamen, freuten wir uns, dass in der Nähe gerade ein Kinderarzt neu eröffnet hatte, der sich nicht nur als guter Arzt entpuppte sondern zu Anfang auch noch viele Kapazitäten frei hatte. Inzwischen nimmt auch er - abgesehen von Notfällen - keine neuen Patienten mehr an.

      Wie mir dieser Arzt erzählte, hatte er zuvor 15 Jahre im Wedding eine Praxis betrieben und schließlich die Flucht ergriffen, da am Ende die Eltern seiner kleinen Patienten nahezu ausschliesßlich Asoziale und/oder Migranten ohne Deutschkenntnisse gewesen seien.
      Diese Leute konnten zwar kein/kaum deutsch und waren darüber hinaus oft nicht in der Lage Diagnosen und Erläuterungen zu Therapien intelektuell zu verstehen, wussten sich aber lautstark zu Beschweren, Theater zu machen, in seiner Praxis zu stehlen oder Randale zu machen.

      Wie soll man Kinder behandeln ohne mit den Eltern vernünftig zu kommunizieren? Mit Eltern, die es nicht einmal für nötig halten, einen Übersetzer mit zu bringen, Termine nicht einhalten oder sich anderweitig verweigern?
      Was soll ein Arzt tun, wenn er massiv bedroht wird, nachdem er einen Fall, wo ein Klienkind massive Blessuren mutmasslich durch Misshandlung hatte, an die Behörden meldet?

    Teure Halbstaatliche Planwirtschaft!

    Hier wird versucht, mit Planwirtschaftlichen Mitteln, bürokratischem Dirigismus an der Realität vorbei die "Versorgung" zu verwalten um vordergründig zu sparen.

    Würden auch andere Branchen, z.B. Bäckereien und Frisöre über solche Zulassungsbürakratien verwaltet, hätten wir in D. auch Gegenden mit Brotknappheit und lauter Langhaarigen ...
    ;-)
      Antwort auf zurueckschnauzer vom 10.05.2011 11:35 Uhr

      Jepp

      Und wenn man schon dabei ist zu steuern, könnte man bei Handyshops, Imbissbuden, Wettbüros und Spielhallen mal an der "Überversorgung" arbeiten. Dies würde auch dem Stadtbild gut tun ;-)

    Die 141%-ige Überversorgung

    ... mit Kinderärzten merkt man besonders am Wochenende.

    Da stolpert man geradezu über für Notfälle geöffnete Kinderarztpraxen.

    Und reiht sich freudig ein in die Warteschlange der nächsten Notaufnahme im Krankenhaus, um dort mehrere Stunden über medizinische Überversorgung nachdenken zu können.
      Antwort auf prokrastes vom 10.05.2011 11:46 Uhr

      ...

      oder man geht mit einer gebrochenen hand zum Chirurgen und wird erstmal gefragt ob man ein Termin gemacht hat. Nachdem ich das beneint hatte, fragte sie mich ob ein Termin in 3 Monaten okay wäre!....
      Nach einer kurzen diskussion durfte ich mich dann doch setzen und nach 6Std warten durfte ich dann sogar zum Arzt.

      Ich merk schon...eindeutig überversorgt.
      Antwort auf prokrastes vom 10.05.2011 11:46 Uhr

      Notfälle geöffnete Kinderarztpraxen

      Da müßen Sie sich bei der linken Senatorin beschweren, die es den
      Kinderärten verbot, am Sonntag zu praktizieren.
      Über diesen Skandal wurde im Tagesspiegel berichtet-:)

    Ein Arzt ist in zweiter Linie

    auch ein Kaufmann. Die Standortwahl eines Arztes wird in erster Linie von der Attraktivität seiner Patienten bestimmt. Und die Attraktivität hängt mit deren Versicherungen zusammen. Wenn, wie der Autor schreibt, Neukölln Rückgänge verbuchen muss, sollte das ein Alarmsignal sein. Allerdings ziehen in erster Linie die weg, die zu wenig Umsatz machen. Und das müssen nicht immer die besten Ärzte sein, die auf das Geld der Patienten am anderen Ort aus sind.

    Die Mitte von Westberlin ist da attraktiv, weil es eben neben den Privatpatienten auch jene mit Zusatzversicherung gibt. Das hübscht den Umsatz auf, wenn die Untersuchungen wünschen, die die GKV nicht zahlt. Und Laufkundschaft ist auch nicht zu verachten, wie die chronisch teuren Kranken, bei denen die Aufwendungen hoch sind. Zugleich sind die Praxen stadtnah und gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen.
      Antwort auf Rotwurst vom 10.05.2011 11:50 Uhr

      na, Sie sind ja lustig,

      wenn mich der Magen-Darm Virus quält hilft mir die Verbindung mit Bus und Bahn wenig. Wenn Sie verstehen was ich meine. Da sind kurze Wege von Vorteil. Nach operativen Eingriffen kann schätzt man auch die Nähe zum behandelnden Arzt. Taxifahrten werden von der Kasse nicht mehr gezahlt. (nur in stark begrenzten Ausnahmefällen)Bei Fieber und ansteckenden Krankheiten ist eine Fahrt mit dem ÖPNV geradezu gemeingefährlich. Ihr Argument ist eigentlich kein praktikables.

    Versagen

    Grandioses Versagen der Kassenärztlichen Vereinigungen. Wenn sie nicht die realen Daten zugrunde legen und derartige Verzerrungen zulassen, dann sind sie als Instrument der Steuerung von Zulassungen disqualifiziert.

    Zahlen, Zahlen, Zahlen...

    Wieder einmal wimmelt es von statistischen Zahlen, die nichts mit der Realität der Patienten zu tun haben. Versuche mal jemand (der nicht Privatpatient ist)bei einem Psychotherapeuten als neuer Patient einen Termin zu bekommen. Ich wünsche viel Glück. (gilt für andere Fachärzt genauso)
    Wer kennt das als Kassenpatient nicht, das ewige Warten bis man dran kommt, obwohl man doch einen Termin hatte. Wenn das stimmt, dass Berlin mit Ärzten überversorgt ist, dann müssen eben die Berliner scheinbar öfter als statistisch vorgesehen zum Arzt oder die Statistik geht von noch deutlich kürzeren Behandlungszeiten aus als man sie jetzt schon hat.
    Warum fragt man nicht anders: warum benötigen in Berlin so viele Patienten einen Psychotherapeuten? Warum muss man heute in einer Notaufnahme des Krankenhauses stundenlang warten, bis man tatsächlich behandelt wird? Warum muss man stundenlange Wartezeiten, besonders bei Augenärzten in Kauf nehmen? Warum bekommt man bei Radiologen erst so spät einen Termin?
    Die Patient interessieren solche Fragen viel mehr.

    Erst gestern bin ich für eine schlichte

    Sonographie von Biesdorf nach Schöneberg und zurück gefahren. Und ich versichere, ich war es, der der Bewegung der Ärzte folgen musste und nicht umgedreht. Ich hätte als Privatpatient absolut nichts dagegen gehabt, wenn mir diese Leistung in Wohnortnähe angeboten worden wäre. Die Entwicklung der medizinischen Versorgung in Berlin ist in meinen Augen absurd!

    Bezirksgrenzen einhalten u. Zulassung auf diesen beschränken

    Würde man Berlin in die früheren 23 Bezirke aufteilen, würde man nur noch in den unterversorgten Gebieten im Osten und im Südosten Zulassungen erteilen. Alle anderen würde mit der Pensionierung wegfallen. Wer umzieht von Neukölln oder nach Marzahn nach Charlottenburg verliert halt seine Kassenzulassung, der darf dann gerne als Privatarzt weiterpraktizieren.
    Nur weil bei der KV viele Vertreter gleichzeitig in der CDU sind, werden diese großen Kostenmonster nicht aufgelöst, denn die Krankenkassen wissen am besten, wo ihre Mitglieder ihren Arzt bzw. Facharzt benötigen. Eine Zwischenbehörde braucht kein Mensch.

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