Heik Afheldt

China wird zum Tiger mit den dritten Zähnen

China in der Falle: Dem Riesenreich stehen gravierendere demografische Strukturbeben bevor. 2050 hat das Land 300 Millionen mehr Alte.

China beeindruckt seit Jahren durch das unerwartete Wachstum seiner Wirtschaft. Der neu erarbeitete Wohlstand erreicht dort mittlerweile mehrere hundert Millionen Menschen, die eben noch auf dem Lande und in großer Armut gelebt haben. Der Turbo eines pseudokapitalistischen Systems mit kommunistischer Zentrale ist enorm kräftig angesprungen.

Seit Jahren wird vergeblich versucht, das Wachstum zu drosseln. Zehn Prozent Anstieg pro Jahr scheint die neue Normalität. Eben hat das Riesenreich mit seinen fast 1,4 Milliarden Menschen Japan als zweitstärkste Volkswirtschaft überholt und Deutschland als Exportweltmeister abgelöst. Die Wirtschaftskrise hat das Land kaum berührt.

Der Tiger springt von einem Rekord zum nächsten.

Die anfängliche Phase des Nachahmens ist in vielen Bereichen überwunden. Die neuen chinesischen Hochgeschwindigkeitszüge fahren schneller als unsere stolzen ICEs, und in der Handelsbilanz fallen die steigenden Anteile der chinesischen Hightechexporte auf. Geht das immer so weiter?

Es ist mehr als wahrscheinlich, dass China mit seiner enormen Dynamik und einer dreimal so großen Bevölkerung die Vereinigten Staaten in den nächsten 20 Jahren auf die Plätze verweist. Aber wer ein wenig weiter nach vorne schaut, nur 40 Jahre bis 2050, der sieht auch, welche gewaltigen Probleme auf das jetzt so erfolgreiche Land zukommen.

Bei uns reden wir viel (wenn auch immer noch zu wenig ernsthaft) über die Folgen des demografischen Wandels in Deutschland. Wir werden weniger und viel älter – das sind die alarmierenden Warnrufe. Statt der über 80 Millionen Menschen heute sind es in 40 Jahren vielleicht nur noch 65 Millionen. Statt der drei Millionen Höchstbetagten über 80 werden es 2050 neun Millionen sein. Und gleichzeitig geht die Zahl der Kinder und der jungen Arbeitskräfte weiter zurück. Das muss uns schrecken.

Aber China stehen noch viel gravierendere demografische Strukturbeben bevor. Nach den Berechnungen der UN-Bevölkerungsstatistiker wird sich in 40 Jahren die Zahl der über 60-Jährigen von 130 Millionen auf unvorstellbare 420 Millionen mehr als verdreifacht haben. Ein riesiges Altenheim – fünfmal so groß wie das ganze heutige Deutschland. Statt wie heute jeder zehnte Festlandchinese ist dann fast jeder dritte ein Ü-60er. Die Zahl der Kinder und Jugendlichen schrumpft gleichzeitig um mehr als 100 Millionen, ihr Anteil von eben noch 25 Prozent sinkt auf etwa 15 Prozent. Das ist die späte Rache der lange geübten und allseits gelobten Ein-Kind-Politik, mit der das Land seit den 80er Jahren gegen die drohende Überbevölkerung gekämpft hat.

Das alles ist deshalb so beunruhigend, weil wir die heraufziehenden Probleme wie in einem Vergrößerungsglas sehen. Sie multiplizieren unsere eigenen drohenden demografischen Probleme mit dem Faktor 17,5! Wie sollen die Erwerbspersonen in China künftig diese Alterslast tragen? Die traditionelle Großfamilie als Versorgerin und Pflegerin für ihre Alten gibt es nicht mehr.

Der Tiger bekommt seine dritten Zähne. Ist es vielleicht auch beruhigend, dass die chinesischen Bäume nicht in den Himmel wachsen werden? Nein, nicht wirklich. Noch größere soziale Probleme zusätzlich zu der sich weiter öffnenden Schere zwischen den ländlichen Gebieten und den Megastädten im Südosten des Landes können im Inneren Konflikte auslösen und zu aggressivem Verhalten gegen außen führen.

Aber vielleicht wird China ja auch dank seiner eigenartigen Melange von kommunistischen und kapitalistischen Elementen zu einem Modell, wie sich derartige gewaltige gesellschaftliche Probleme konfliktarm lösen lassen – und damit auch noch zu einem erfolgreichen Exporteur von politischen Steuerungsmodellen?

Der Autor ist Honorarprofessor für Zukunftsforschung an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Von 1998 bis 2002 war er Herausgeber des Tagesspiegels.

5 Kommentare

Kommentar hinzufügen
  • Kommentare anzeigen nach:
  • (?)

    Debatten
    Ansicht der Kommentare und Antworten in ihren Zusammenhängen.

    Chronologisch
    Ansicht aller Kommentare in zeitlicher Reihenfolge.

    Altenheim?

    Es gibt offensichtlich zwei Arten, um über die „Alten“ zu reden. Die eine betrachtet den Rentner als Konsumenten mit Geld in der Tasche. Den überhäuft man mit Angeboten. Die andere Betrachtungsart ist ebenfalls ganz simpel: Die Alten sind siech und eine Last. Wie kriegt man sie nur billig unter?
    Selbst in diesem Artikel hier wird von über 60jährigen gesprochen, die ein riesiges Altenheim bilden.
    Ich bin schon ziemlich über 60 und ans Altenheim denke ich überhaupt nicht und in meiner Umgebung leben und denken Gleichaltrige ebenso.
    Liebe Journalisten, liebe Politiker! Seht die Sache doch mal von einem dritten Standpunkt aus. Da sind Menschen zwar alt, aber sie können der Gesellschaft noch eine Menge geben. Entwickelt Ideen, wie sie ihr Leben nach dem Arbeitsleben sinnvoll gestalten und der Gesellschaft nützlich bleiben können.
    Wie wär’s, wenn man Menschen ab 50 die Möglichkeit gäbe, sich neben ihrer Berufstätigkeit auf das Rentenalter mit einer neuen Tätigkeit vorzubereiten? Heute lässt man sie einfach ins Rentenalter fallen – mitunter sogar mit einem gehörigen Schubs. Das ist nicht nur inhuman, das ist einfach doof.
    Und das bringt mich wieder zum Artikel. In Chinas Blütezeit waren die Alten nicht nur respektiert, sie wurden gebraucht, weil sie vom Menschsein und vom Leben etwas wussten, was den Jungen abging. Sie hatten etwas zu geben: Wissen, Lebenserfahrung und die Freiheit des unabhängigen Denkens.
    Alles das haben wir Alten von heute auch. Wollt ihr’s haben oder wollt ihr uns wirklich ins Altenheim abschieben? Und dann jammern, was wir für eine Last für euch sind?
      Antwort auf Diele vom 09.03.2011 07:59 Uhr

      Ist doch einfach.

      Derzeit sind die "Alten" also die Rentner (ab 60 Jahren) der Wirtschaftsstaaten verallgemeinert eine sehr junge, reiche, gesunde, versorgte .... Zielgruppe.

      Im Vergleich zu den heutigen Rentnern wird in Deutschland sowie der Welt inkl. China in ca. 20-50 Jahren ein "Alter" (Rentner ab 80 Jahre) verallgemeinert sehr alt, sehr arm (Rentensystem...), einsam (kein eigener Nachwuchs...) sowie eher eine Last für alle noch Aktiven Menschen sein, da es dann zu viele sind die einfach nur noch "da sind" um versorgt werden zu wollen...
      Antwort auf robert56 vom 09.03.2011 13:53 Uhr

      Wirklich?

      Ist das Ironie? Falls Ihr Text ernst gemeint ist: Gerade diese Aussichten (in 20 Jahren) wären doch ein Grund, jetzt schon nach Lösungen zu suchen. Wobei der Ansatz nicht wie bisher ein pessimistischer sein darf: Das Alter ist keine Krankheit! Aber leider wird es heute so behandelt. Und dann stehen in 20 Jahren Millionen Menschen neben der Gesellschaft und lässt sie nicht aktiv sein, eil - vor zwanzig Jahren - die Menschen glaubten, Alter ist per se negativ udn alte Menschen gehören nun mal ins Altersheim..
      Übrigens meine ich, dass China aus seiner Geschichte lernt und dann werden die Alten in 20 Jahren nützlich und human behandelt werden. Wir werden auch hier von den Chinesen lernen müssen. Aber, zum Kuckuck, warum sollten wir es ihnen nicht jetzt schon vormachen können?
      Antwort auf Diele vom 09.03.2011 07:59 Uhr

      Diele

      Danke! Das tut gut...
      Im übrigen sind ja gerade auch die chinesischen "Alten" in der Regel äußerst fit. Man sieht nicht selten in chin. Städten Menschen weit über achtzig (!) die ihrer täglichen "Gymnastik nachgehen oder eine "kesse Sohle aufs staubige Parkett legen".
      Oft schon zur Morgendämmerung.

    Gut so

    Mir persönlich ist ein Riesenreich mit "dritten Zähnen" auch wesentlich sympathischer, als ein ungestümes Riesenreich mit "Milchzähnen"!

Kommentar schreiben

Service

Umfrage

Sollte Apothekern freigestellt sein, Medikamente wie die "Pille danach" aus moralischen Gründen nicht zu vertreiben?

Weitere Themen

  • Ein Fähnlein im Wind

    Kanzlerin Merkel diskutiert mit den Ministerpräsidenten der Länder mit Akw-Standorten über die Sicherheit der Atomkraftwerke. Über Merkels politische Mobilität wird letztendlich auch die Frage entscheiden, was schwerer wiegt: die Handlungsfähigkeit oder die Glaubwürdigkeit.  mehr...
  • Das Risiko ist mehr als ein Rest

    Die Bundesregierung rudert zurück, von den nahenden Wahlterminen verschreckt und von der Realität eingeholt. Nun kann sie nicht mehr leugnen, was sie immer wieder bestritt: Nuklearanlagen sind eine Hochrisikotechnologie  mehr...
  • Wir Blockwarte

    Markus Hesselmann traut sich nicht, im Hausflur Zettel aufzuhängen. Als berufsentspannter Berliner will er sich nicht nachsagen lassen, ein Blockwart zu sein.  mehr...
  • Der schlechteste Politiker

    Was lernen wir aus den katastrophalen Folgen des Erbebens in Japan für die deutsche Atompolitik? Wir lernen, dass es bei Schwarz-Gelb noch richtige Politiker gibt - und dass der schlechteste Politiker aus Baden-Württemberg kommt. Ein Kontrapunkt.  mehr...
  • Kein Recht auf die Mitte

    Der Berliner Senat sah lange zu, wie viele Luxuslofts gebaut wurden. Nun könnte er stärker eingreifen. Der Ruf nach sozialem Wohnungsbau, den sowohl Linke wie CDU anstimmen, ist allerdings Aktionismus. Ein Kommentar.  mehr...

Biowetter, Deutschlandwetter und internationales Wetter, Niederschlagsmengen, Reisewetter und aktuelle Satellitenbilder. Behalten Sie das Wetter im Griff!

Tagesspiegel Wetterseite

Umfrage

Sollte aufgrund der Ereignisse in Japan ein Umdenken in der deutschen Atompolitik stattfinden?

Krankenkassen-Vergleich

• Beitragsrechner
• Versicherungsvergleich
• Tipps zum Wechsel

Der schnelle Weg zur günstigen Krankenkasse.

Hier vergleichen