Abschied der Kummerkastentante

Stanislawski hat keine Kraft mehr für St. Pauli

  • FC St. Pauli: Wer hätte gedacht, dass Holger Stanislawski freiwillig den FC St. Pauli verlässt? Vielleicht hat er auch einfach keine Lust mehr auf Zweite Liga? Nach einer... - Foto: dpa
  • 1899 Hoffenheim: Marco Pezzaiuoli (r.) hat den Ball von Ralf Rangnick am 2. Januar 2011 übernommen. Der war zuvor mit der TSG in viereinhalb Jahren von der 3. Liga bis in die... - Foto: dpa
  • FC Bayern München: Louis van Gaal (r.) hat nichts mehr zu lachen beim Rekordmeister. Nach dem Beinahe-Triple in seiner ersten Saison bleiben die Münchner in diesem Jahr ohne Titel.... - Foto: dpa

Update Trainer Holger Stanislawski wird Fußball-Bundesligist FC St. Pauli zum Saisonende verlassen - und geht im Sommer wohl nach Hoffenheim. Die Abschiedsankündigung fiel Stanislawski sichtlich schwer.

Alles war Holger Stanislawski seit 1993 beim Kiezklub schon – Profi, Praktikant, Vizepräsident, Sportchef und Trainer. Als Spieler durfte er trotz bescheidener Fähigkeiten in der Bundesliga mitmischen, später erkannte der ehemalige Präsident Corny Littmann an ihm „Fähigkeiten, von denen ich selbst nichts wusste“. Von der dritten in die erste Liga führte Stanislawski den Klub, machte den Fußball-Lehrerschein als Jahrgangsbester. Er repräsentierte St. Pauli nimmermüde und blieb doch immer sehr normal mit einem beschaulichen Leben im ländlichen Rahlstedt, gemeinsam mit Frau und Hund. Nun wird sich der 41 Jahre alte Trainer neu erfinden müssen - höchstwahrscheinlich als Coach der TSG 1899 Hoffenheim.

Gleich zu Beginn einer tränenreichen Pressekonferenz bat Stanislawski am Mittwochmittag um Verständnis. „Sollte es Pausen geben, bitte ich um Nachsicht. Ich ringe dann nach Fassung“, sagte Stanislawski leise, ehe er in persönlich gefärbten 34 Minuten erläuterte, warum er den FC St. Pauli nach 18 Jahren verlassen wird. Den neuen Arbeitgeber jedoch verschwieg der „ewige Hamburger“, wie sich Stanislawski nannte. „Darüber werde ich in den nächsten Tagen informieren.“ Es gilt als ausgemacht, dass er Hoffenheim zur neuen Saison übernehmen und damit Nachfolger Marco Pezzaiuolis werden wird. Als mögliche Kandidaten für den frei werdenden Trainerposten in Hamburg gelten die Zweitliga-Trainer Mike Büskens (Greuther Fürth) und André Schubert (SC Paderborn). Am Ende seiner Ausführungen hatte Stanislawski dann auch seinen Humor wiedergefunden, als er sagte: „Ich werde nicht zum HSV wechseln.“

Zuvor waren seine Erläuterungen so ehrlich wie kurios: „Mir fehlen Kraft und Energie. Ich bin ausgelutscht. Der Rucksack beim FC St. Pauli wurde immer schwerer für mich“, sagte Stanislawski. Bei den Hamburgern war er Mädchen für alles, „das große Aushängeschild“, wie Manager Helmut Schulte sagte.

Und nun mit halber Kraft zum neuen Job? Offenbar erhofft er sich im Kraichgau eine Verteilung der Lasten auf mehrere Schultern, um sich voll auf die Arbeit als Trainer zu konzentrieren. Auch dürften die Möglichkeiten dort andere sein – er wird mit Nationalspielern zusammenarbeiten und über vergleichsweise große Transfers (mit)bestimmen. Die Arbeit am Millerntor grenzte zuletzt an Masochismus: der Anspruch, mit geringen Mitteln, einem Kader der Namenlosen und vielen Verletzten in der Bundesliga zu bleiben, mag tatsächlich ein Job gewesen sein, für den Stanislawski sieben Tage die Woche 24 Stunden hart hat arbeiten müssen. Wie sehr ihn St. Pauli geschafft hat, ist an seinem Körper abzulesen: die Falten sind tiefer geworden, acht Kilogramm Körpergewicht hat er seit dem Sommer verloren. „Wir hatten den Selbstmordversuch von Andreas Biermann, wir hatten den Wettskandal, wir hatten Fans, die vom Zaun fielen und mit dem Tod kämpften, wir hatten vier Jahre lang zwei Baustellen, das Stadion und das Trainingsgelände – meine Batterie wurde immer leerer“, erklärte Stanislawski.

Er hat sich mal als Kummerkastentante des Vereins bezeichnet: „Jeder kommt hier mit seinen Gebrechen doch zu mir.“ In Hoffenheim wird Stanislawski nicht nur dem machtbewussten Manager Tanner Paroli bieten, sondern sich auch ein dickes Fell zulegen müssen. Dort bekommen sie einen ideenreichen Motivator mit großer Detailkenntnis.

Tränen flossen auf dem Podium, als Stanislawski vom Tod seiner Mutter sprach, als er seinen Assistenten und Freunden Nemet, Trulsen und Medienchef Bönig dankte. Womöglich nimmt er alle drei mit nach Hoffenheim. Auch Klubpräsident Stefan Orth sagte: „Wir verlieren die wichtigste Person im Klub.“ Seit Mittwoch weiß jeder, wie groß Stanislawskis Fußstapfen beim FC St. Pauli sind.

10 Kommentare

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    Na dann viel Spass...

    im Retortenclub und mit Hopp Hopp Hasi!

    Ganz schwaches Kino, das Holger Stanislawski da bietet.

    Alles Gute, Stani!

    „Hoffenheim bekommt menschlich einen guten Jung und er, Stani, bekommt Möglichkeiten, wie er sie bei uns nicht hat. Hoffentlich können beide was draus machen.“ (Fabulous Sankt Pauli: In Hamburg sagt man Tschüss)

    Tschüß, Jung. Und nein, das ist nur 'ne Fliege, die mir ins Auge flog. ;(

    Ex- Braunhemd

    Die Zeiten sind doch vorbei, Stanislawski, wo man als Grund für einen Vereinswechsel die neue Kultur, neue Sprache und weiteren Blabla von sich gab! Heulend Vereinstreue heucheln, geht garnicht! Mehr Kohle ist der Grund. Verständlich und ehrlicher, als dieses Gejammer!

    Das passt nicht

    untypisch für Stani, aber verstehen kann ich es, ein guter Trainer mit Ambitionen.

    starker Typ

    klar geht das zusammen: Tränen über einen Abschied und neue Aufgabe. Aber Hallo!? Längst überfälliger Schritt für den TRAINER Stanislawski!-Viel Glück!

    USP sollte sich...

    ...ebenfalls vom Verein verabschieden. Die Gestalten dieser Clique haben dem Club mehr geschadet als genutzt und dürften ein weiterer Grund für Stanislawskis Aufhören sein.
      Antwort auf countrylover vom 13.04.2011 23:02 Uhr

      Ach ja...

      Es gab genügend gründe für Stani jetzt und auf diese Art zu gehen. Aktiven Fangruppen einen Vorwurf zu machen ist einfach mal sachlich falsch und befriedigt nur Animositäten einer Einzelperson.

      Vielleicht mal ins Stadion gehen als hier rumzuhupen.

    Ach Holger

    ......alte Wuast. 97 hab ich dich das erste Mal am Millerntor gesehen. Und dich hab ich neben Tante Trude immer am meisten gemocht. Geh mal schauen inne groß weite - oder kleine Kraichgauer Welt.
    Dein Schiff kommt zurück nach Hamburg St. Pauli. Ick wart uff dir...... Versprochen

    von wegen keine kraft mehr

    der hat einfach keinen bock mehr
    auf den ganzen haufen von totenkopftshirtträgern.
    jetzt schmeissen die auch noch mit bierbechern!
    die zeiten wo pauli "anders" und deshalb "kultig" war,
    sind doch lange,lange vorbei.
    dort ist doch wie überall anders auch die
    harte fussballrealität eingekehrt.
    ohne moos nix los-auch auf pauli.
    (obwohl die ja von den t-shirts ne menge abgesetzt haben)

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